Offener Brief zur Nichtvergabe des Nelly-Sachs-Preises an Kamila Shamsie:
Mit Bestürzung haben wir von der Entscheidung der Stadt Dortmund erfahren, Kamila Shamsie wegen ihres erklärten Engagements für die gewaltfreie Boykott-, Entzugs- und Sanktionsbewegung (BDS) für die palästinensischen Rechte nicht mit dem Nelly-Sachs-Literaturpreis auszuzeichnen.
Wie es in einer Erklärung von mehr als vierzig progressiven jüdischen Organisationen heißt, “untergräbt die Gleichsetzung von antijüdischem Rassismus mit dem Widerstand gegen die Politik und das System der Besatzung und Apartheid Israels… sowohl den palästinensischen Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit als auch den globalen Kampf gegen Antisemitismus. Sie dient auch dazu, Israel davor zu schützen, im Hinblick auf universelle Standards der Menschenrechte und des Völkerrechts zur Rechenschaft gezogen zu werden.“
In Deutschland gehören die Angriffe auf BDS zu den heftigsten. Im Mai 2019 fasste der Deutsche Bundestag einen Beschluss, in dem die Bewegung als antisemitisch bezeichnet wird. Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln entschied jedoch in dieser Woche zum dritten Mal ein deutsches Gericht zugunsten des Rechts auf BDS.
In seinem Urteil erklärte das Gericht: “Die Beschlüsse des Stadtrates von Bonn… und des Deutschen Bundestages (17. Mai 2019) sind keine Rechtsetzungsakte, sondern politische Resolutionen bzw. Willensbekundungen. Diese Beschlüsse allein vermögen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen bestehenden Rechtsanspruch einzuschränken.“
Nichtsdestotrotz entschied sich in der gleichen Woche die Stadt Dortmund, eine Autorin wegen ihrer Verteidigung der Menschenrechte anzuprangern. Gleichzeitig weigert sich die Stadt, die Stellungnahme der Autorin zu veröffentlichen, die sie verfasste, als sie von der Entscheidung hörte.
Aus diesem Grund veröffentlichen wir hier Kamila Shamsies Erklärung:
“Während der soeben beendeten Wahlen in Israel kündigte Benjamin Netanjahu Pläne an, bis zu einem Drittel der Westbank zu annektieren, was gegen das Völkerrecht verstößt. Sein politischer Gegner Benny Gantz erklärte daraufhin, dass Netanjahu ihm diese Idee gestohlen habe. Dies folgte unmittelbar nach der Ermordung von zwei palästinensischen Teenagern durch israelische Streitkräfte, die vom UN-Sonderkoordinator für den Nahost-Friedensprozess als „entsetzlich“ verurteilt wurde. In diesem politischen Kontext hat sich die Jury des Nelly-Sachs-Preises entschieden, mir die Auszeichnung aufgrund meiner Unterstützung für eine gewaltfreie Kampagne, die Druck auf die israelische Regierung ausüben soll, nicht zuzuerkennen. Es erfüllt mich mit großer Traurigkeit, dass sich eine Jury dem Druck beugt und einer Schriftstellerin, die von ihrer Gewissens- und Meinungsfreiheit Gebrauch macht, einen Preis entzieht. Es ist empörend, dass die BDS-Bewegung (nach dem Vorbild des Boykotts gegen Südafrika), die gegen die Regierung Israels wegen seiner Diskriminierung und Brutalität gegen Palästinenser*innen kämpft, als etwas Schändliches und Ungerechtes verunglimpft wird.”
Was bedeutet ein Literaturpreis, der das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte, die Grundsätze der Gewissens- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kritik untergräbt? Ohne dies verkommt Kunst und Kultur zum sinnlosen Luxus.
Dieser offene Brief wurde am 23. September publiziert und von über 100 Kulturschaffenden unterschrieben, darunter:
Noam Chomsky, Jennifer Clement (President, PEN International), J.M. Coetzee, Deborah Eisenberg, Brian Eno, Maureen Freely (Chair, English PEN), A.L. Kennedy, Alexander Kluge, George Saunders, Gloria Steinem, Carles Torner (Executive Director, PEN International), Salil Tripathi, (Chair of the Writers in Prison Committee for PEN International), Monique Truong, Marina Warner, Eliot Weinberger, Mona Younis